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POPMAGAZIN-Interview mit WIENER BLOND: "Das Nachtleben hat uns sehr inspiriert"

Verena Doublier und Sebastian Radon besingen ihre Liebe zu Wien und anderen Großstädten im neuen Album. (c) Konstantin Reyer
Verena Doublier und Sebastian Radon besingen ihre Liebe zu Wien und anderen Großstädten im neuen Album. (c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Seit acht Jahren bilden VERENA DOUBLIER und SEBASTIAN RADON das Wiener Beatbox-Duo WIENER BLOND. Bis in der Früh heißt ihr neues Album. POPMAGAZIN-Redakteur Hans Jürgen Miggl sprach mit ihnen über ihre Nachbarn, Erinnerungen und wie es ist, wenn man zugelabert wird.

 

POPMAGAZIN: Euer drittes Studioalbum Bis in der Früh ist im November erschienen. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Albin Janoska?

VERENA DOUBLIER: Wir wollten das erste Mal mit einem Produzenten arbeiten. Die ersten beiden Alben machten wir selbst. Wir hatten schon eine ungefähre Vorstellung, was wir wollten. Es sollte ein wenig minimalistisch klingen mit unserem typischen Beatboxsound und wir wollten auch akustische Instrumente einbauen. Albin kennen wir noch von der Uni. Nach zwei, drei Sessions mit ihm, war uns klar, dass es in die Richtung geht, in die wir beide wollten.  

SEBASTIAN RADON: Als wir schließlich elf Nummern im Kasten hatten, sagten wir: Machen wir es rund! So hängten wir mit Do noch eine zwölfte Nummer dran. Die zu komponieren hat mir dann besonders viel Spaß gemacht. Sie war auch sehr schnell da. Generell finde ich, dass der Song Kreisel ganz gut die Stimmung des Albums ausdrückt.

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Wie entstehen die typischen Wiener Blond-Songs?

SEBASTIAN: Entweder die Verena oder ich haben eine Grundidee für einen Song. Das kann eine Textzeile sein, ein ganzer Refrain oder eine Strophe. Man wirft den Ball dann der anderen Person zu, die versucht ihren Senf dazu zu geben. Das kann mal mehr, mal weniger sein. Es ist auch so, dass wir oft komplette Songs, jeder für sich, komponieren und den Text dazu schreiben. Oft ist es wirklich eine Kooperation wie das Lied Ned schlofn. Dieser Song ist im Verhältnis 50:50 entstanden aus einem Anfangsrefrain. 

 

Generell werden bei euch sehr viele Wien-Themen verarbeitet.

VERENA: Da Wien meine bislang einzige Großstadt ist, in der ich lebte, kann ich meine Erfahrungen nur auf Wien ummünzen. Generell geht es uns um das Leben in einer Großstadt. Einige Lieder sind sogar im ersten Lockdown entstanden. In so einer Situation wird das Leben in der Stadt natürlich anders empfunden als am Land. Welche Grenzen das Stadtleben aufweist und welche Möglichkeiten es bietet. Und wie man selbst mit diesen Möglichkeiten umgeht. Man hat die ständige Angst etwas zu verpassen. 

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Viele Songs des Albums handeln von der Nacht und dem Nachtleben. Wie ist eure Beziehung zur Nacht?

VERENA: Durch unser Musikerdasein hat sich unser Rhythmus sehr verschoben. Man steht sehr spät auf. Als wir noch studierten, haben wir uns schon um neun Uhr morgens zum Proben getroffen. Die Reflexion auf die Nacht ist auch deswegen entstanden, da wir auf unseren letzten Alben immer Alltagsgschichtln erzählt haben. Nun wollten wir einfach die andere Seite ein bisschen beschreiben. Das Nachtleben selbst hat uns offensichtlich sehr inspiriert. Sowohl außerhalb, als auch innerhalb der eigenen vier Wände. 

 

Wie seid ihr auf den Song Chlor gekommen?

VERENA: Es geht um Urlaubserlebnisse und die Assoziation von Gerüchen, die einen in eine andere Zeit versetzt. Das kann dir der Sebastian aber besser sagen, da es sein Song ist.

SEBASTIAN: (lacht) Bei Chlor ist es eigentlich so, dass es um Erinnerungen geht und mich erinnert Chlor total an meine Kindheit. Dieser Geruch von Chlor im Schwimmbad ist bei mir wahnsinnig hängengeblieben. Mit meinen Eltern unternahm ich damals eine Amerikareise und mir fiel schon als Kind auf, dass in der USA wahnsinnig viel gechlort wird. Es ist sozusagen eine Reminiszenz an diese Zeit. Letztlich ist der Chlorgeruch eine positive Erinnerung für mich, da er immer für Sommer und Urlaub stand. 

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Im Song Schnackerl geht es auch ums Finanzamt. Wie stehst du zum Finanzamt, Sebastian?

SEBASTIAN: (lacht) Welche Beziehung habe ich zum Finanzamt? Naja, es gehört halt irgendwie zum Leben dazu. Ich mache mir aber nicht so viele Gedanken über das Finanzamt, sonst wäre das Leben wohl zu stressig. Darum geht es im Song auch. Man wird ohnehin immer wieder dran erinnert - vom Finanzamt selbst.

 

Ein weiterer genialer Song ist Palawa mi. Gibt es spezielle Situationen in denen ihr "zugelabert" wurdet?

VERENA: (lacht) Tatsächlich passiert das immer wieder, dass einem Leute, die man nicht kennt, die ganze Lebensgeschichte erzählen. Man lernt in solchen Situationen sehr viel über sich selbst. Man kann sich selbst dabei beobachten, wie man mit so einer Situation umgeht. Der Andere hat vielleicht gerade ein Mitteilungsbedürfnis, dem man in der Sekunde nicht gewachsen ist. Sebi macht daraus ein Lied.

SEBASTIAN: Genau. Es ist schon lange nicht mehr passiert, dass es mich wahnsinnig nervte. Auch durch Corona natürlich, nun kommt man einfach nicht mehr so viel mit Leuten in Kontakt. Es ist eine Grundstimmung, die ich einfangen wollte. Die kennt wohl jeder, dass man vielleicht gerade keine Geschichten oder Anweisungen von anderen Leuten hören möchte und dann aber "vollpalawt" wird und da schwer wieder rauskommt.

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

In Nochboa beschäftigt euch mit Nachbarn. Kennt ihr die Leute, die in eurem Wohnhaus leben?

SEBASTIAN: Ich bin erst 2020 übersiedelt, wohne nun in einem anderen Bezirk. Zu meiner Nachbarin habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Sie ist eine nette, ältere Dame. Wir laufen uns immer wieder über den Weg und erkundigen uns über den jeweiligen Gesundheitszustand.  

VERENA DOUBLIER: Nochboa ist eine Erinnerung an meine Kindheit, da ich immer in Wohnungen gelebt habe mit sehr vielen Parteien. Also z. B. bei meiner Oma im Gemeindebau. Oder in einer Privatwohnung, wo ich aufgewachsen bin, mit sehr vielen wechselnden Nachbarn, die ich kaum kannte, aber immer eine Meinung zu mir hatten. Irgendwann schreibt man dann ein Lied drüber.

 

Verena, wie erlebst du deine Nachbarn nun?

VERENA: Ich bin vor drei Jahren in eine Genossenschaftswohnung gezogen. Davor habe ich sehr lange in einem Haus gewohnt mit vielen Persern, Polen und Deutschen. Nun lebe ich mit einigen Wiener Urgesteinen Tür an Tür. Auch das kann sehr lustig sein. Man trifft sich dann meistens im Lift und beginnt einen Small Talk. 

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Ihr schreibt in einem Song vom "Pickenbleiben". Ist euch das schon oft passiert?

VERENA: (lacht) Ja, das ist schon einige Male passiert. Das sollte nicht zum Lebensstil werden. "Pickenbleiben" kann man an vielen Sachen. Was immer man macht, man macht es oft länger, als es überhaupt noch gut oder schön ist. 

 

Der Song Endgerät dreht sich um die Smartphone-Nutzung. Wie intensiv nutzt ihr das Handy mitsamt Social Media?

VERENA: Es ist bei mir tatsächlich eine sehr starke berufliche Nutzung. So geht es vielen anderen auch, dass es irgendwann nicht mehr wirklich unterscheidbar ist. Man beschäftigt sich mit beruflichen Konten auch anderweitig und dann vermischt sich das Ganze. Grenzen muss man sehr bewusst ziehen. Ich habe z. B. nicht das Bedürfnis viel Netflix zu schauen. Für viele Leute ist es fast schon eine Religion. Dafür tue ich mir mit dem Handy schwer, da ich ein sehr neugieriger Mensch bin. Das obsessive Eindringen in neue Welten, die einen raufholen, ist ja nichts Neues, sondern die Verfügbarkeit ist so viel intensiver geworden. Das greift unsere Konzentrationsfähigkeit an. Das ist die größte Herausforderung.  

SEBASTIAN: Es ist ein Zeichen unserer Zeit. Man sieht überall Leute, auch auf der Straße, die eigentlich gar nicht anders können, als alle zwei bis fünf Minuten ins Handy zu schauen. Ich nehme mich selbst da gar nicht aus. Oder, wenn man in der Nacht nicht schlafen kann, noch schnell in die App einer Zeitung schaut und dann noch weniger schlafen kann. Es ist ganz gut, sich das bewusst zu machen. Ich versuche zwei, drei Stunden vor dem Schlafengehen und zwei, drei Stunden nach dem Aufstehen das Handy nicht zu verwenden. Mir fiel auf, dass dadurch meine Nacht ruhiger wurde, aber natürlich klappt es nicht immer.  

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Das Album ist tanzbarer geworden. War das so gewollt?

VERENA: Definitiv, wir wollte ein Uptempo-Album machen. Der Schwerpunkt soll dennoch auf dem Text liegen, aber trotzdem nicht zu kopflastig sein. Den Grooves gaben wir dieses Mal einen noch größeren Raum. 

 

Wann war es klar, dass das Album Bis in der Früh heißen wird?

VERENA: Eigentlich war uns das relativ spät klar. Es ist der letzte Satz des Lieds Kreisel. Nachdem alle Songs da waren, war es klar, dass die frühen Morgenstunden und die Nacht ein Thema für den Albumtitel sind. Der Kreis beginnt mit Guten Morgen Wien am Anfang und schließt mit Kreisel am Schluss. Ich würde sagen, dass es fast ein Konzeptalbum light ist. Es beginnt in den frühen Morgenstunden und endet auch wieder in den frühen Morgenstunden. Und viele Dinge, die im Album beschrieben sind, kann man einfach bis in die Früh machen. Und die Diskussion, ob es Bis in die Früh oder Bis in der Früh heißt, haben wir überraschend oft. Es ist natürlich so ein Wiener Slang. 

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

Ihr habt euch 2012 auf der Uni kennengelernt. Hat es gleich musikalisch gepasst?

VERENA: Unser gemeinsamer Gesangslehrer hat uns einander vorgestellt und sagte: Macht's mal ein Projekt! Das hat tatsächlich von der ersten Probe an super funktioniert. Ein paar Wochen später haben wir zwei Songs performt, seitdem nicht mehr aufgehört.

SEBASTIAN: Ja, es war wirklich so. Wir haben uns unsere eigenen Songs gegenseitig vorgespielt und gleich im Sommer 2012 begonnen. Es folgten viele Proben und Jams. Bereits im Herbst haben wir das erste kleine Konzert gegeben. Das Schöne war, dass wir gar nicht viel darüber nachdachten, ob es was werden könnte. Wir machten es einfach! Im Rückblick war es uns klar, dass der Schritt gut war und wir so weitermachen können.

 

Zu welcher Tageszeit könnt ihr am kreativsten sein?

SEBASTIAN: Das ist ganz unterschiedlich bei mir. Ich mache zuhause schon am Nachmittag sehr viel Musik. Am Vormittag kommen noch nicht die zwingenden Gedanken. Natürlich ist auch der Abend ein guter Zeitpunkt für mich um kreativ zu sein. 

VERENA: Bei mir gleich nach dem Aufwachen und kurz vor dem Einschlafen. Eben an den Randzeiten der Tage. Ich weiß, die meisten Künstler können sich nachts voll ausklinken. Das geht bei mir nicht. Wenn die Welt langsam aufwacht, eben auch die Gefühle, die beim Song Guten Morgen Wien beschrieben werden, entsteht so eine schöne Atmosphäre, um auch selbst aktiv zu sein.

(c) Theresa Pewal
(c) Theresa Pewal

Normalerweise steht ihr als Duo auf der Bühne, 2021 werdet ihr mit Band auf Tour gehen. Welche Vorteile hat die jeweilige Besetzung?  

SEBASTIAN: Mit Band ist man weniger "eingeschränkt". Zu zweit stoßen wir rein technisch schnell an unsere Grenzen, weil wir unsere zwei Stimmen, eine Gitarre, eine Loopstation haben und bei der Band merken wir, dass man musikalisch und dynamisch viel weitergehen kann. Es entstehen auch viel mehr Interaktionen zwischen den Leuten. Natürlich hat diese "Eingeschränktheit" zu zweit auch ihre Reize und Vorteile. Man ist tatsächlich ausgelastet und kann ordentlich auf die Tube drücken. Bei der Band kann man sich fast ein wenig entspannen, da man Bass und Schlagzeug im Hintergrund hat und sich in diesen Sound hineinlegen.   

 

Was sagst du über ... ?

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

VERENA über SEBASTIAN: Der Sebi ist sicher der Ruhepol von uns beiden. Das merkt man auch auf der Bühne. Er steht mit beiden Beinen da, während ich um ihn herumwirble.

 

Was ich noch schätze: Wenn ich ihm etwas erzähle, dann kommt von ihm ein Satz, der so unberechenbar und lustig ist, dass er mich völlig aus der Bahn wirft.

 

Das ist ein ganz wichtiger Part in unserer Zusammenarbeit. Wenn ich mit einem recht verkopften Song zu ihm komme, dann schreibt er noch zwei Zeilen dazu und schon bekommt das Ganze eine andere Richtung. 

(c) Konstantin Reyer
(c) Konstantin Reyer

SEBASTIAN über VERENA: Die Verena ist eine unglaublich vielseitige, liebenswerte, sprudelnde Persönlichkeit. Sprudelnd passt da wohl perfekt! Sie ist sehr ehrlich.

 

Man kann mit ihr wahnsinnig vielseitig Musik machen und mit ihr gute Gespräche führen und auch diskutieren. Sie ist auch sehr belesen.

Das Interview wurde im Dezember 2020 geführt, nun im Jänner 2021 veröffentlicht. Es ist eine Zusammenführung aus mehreren Telefonaten mit Verena und Sebastian.

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