Elen

Elen ist anders als andere Sängerinnen: Kurz vor dem Berliner Mauerfall geboren, erlebte sie Diddl und Co., startete als Straßenmusikerin, ehe sie ankommen konnte. Und dabei aus Berlin flüchtete. (c) Christoph Köstlin
Elen ist anders als andere Sängerinnen: Kurz vor dem Berliner Mauerfall geboren, erlebte sie Diddl und Co., startete als Straßenmusikerin, ehe sie ankommen konnte. Und dabei aus Berlin flüchtete. (c) Christoph Köstlin

 

Die Berliner Musikerin Elen ist eine Ausnahme. Eine Ausnahme in den schöngefärbten Mustern aktueller Karrieren im deutschen Popbusiness. Noch dazu, wenn es sich um Karrieren von Frauen handelt. Weil sie eine wichtige Eigenschaft verkörpert, die hinlänglich so oft fehlt: Wahrhaftigkeit!
Zu finden auch in jedem ihrer Songs ihres deutschsprachigen Albums Blind über Rot. (VÖ: 19.06.2020). 

Biografie

Elen. (c) Christoph Köstlin
Elen. (c) Christoph Köstlin

Mal eher faktisch: Elen, Betonung auf dem zweiten E! Geboren genau einen Monat vor dem

Mauerfall in Ost-Berlin, vertraute ihrem Diddl-Buch schon im Alter von fünf Jahren ihren späteren Berufswunsch an: „Sengerin“ (Betonung auf dem ersten E!). Musikalisch sozialisiert mit den Schlagern aus dem elterlichen Radio. Dagegen rebelliert mit den Songs von Oasis. Sich ausprobiert an Keyboard, Schlagzeug, Gitarre. Kurz vor dem Abi über Chemie gestolpert und die Schule geschmissen. Entscheidung: Straßenmusik – mit der Gitarre in der Hand. Meistens vor den Schönhauser Allee Arkaden oder auf dem Alexanderplatz in Berlin zu finden.

 

In Eigenregie und durch Crowdfunding ein erstes eigenes Album in englischer Sprache veröffentlicht. Prägende Begegnungen mit anderen und sich selbst. Die meisten flüchtig für ein paar Minuten im Vorbeigehen. Einige nicht sesshaft und trotzdem dauerhaft unter der Haut. Einmal Marius Müller-Westernhagen, der ihr (von Elen unerkannt) auf dem Alexanderplatz zuhört, Ihr Album kauft (immer noch von Elen unerkannt), sie ein paar Tage später als Support auf seine Tour  Bühne zurück auf die Straße. Im Clinch mit Bürokratie und gerichtlichen Instanzen nicht nur Geld sondern auch die Lust auf die Straße verloren. Zunehmend präsenter: sowohl die Ränder der Gesellschaft als auch die eigenen.

(c) Christoph Köstlin
(c) Christoph Köstlin

Flucht aus der Stadt
Der Stadt den Rücken gekehrt und nach Brandenburg aufs Land gezogen. Ärmel hochkrempeln. Tiere versorgen: Schafe, Ziegen, Ponys, Pfauen, Hühner. Mehrere Hunderttausend (ok, die meisten davon sind Bienenvölker). Erweiterter Horizont. Näher bei sich sein. Texte auf Deutsch. Gefühle besser ausdrücken. Die Aufmerksamkeit der Plattenlabel. Erster Vertrag. Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen. Sich auf Musik und Texte konzentrieren können. Letztes Jahr bei Inas Nacht der erste Test: „Liegen ist Frieden“ als Song und mit weiteren Songs auch als EP. Tagelang Platz 3 bei iTunes mit beidem. Mit Rückenwind und Zuversicht das deutschsprachiges Album fertiggestellt. „Blind über Rot“ erscheint im Juni 2020. 

Anfang als Straßenkünstlerin
Auf der Straße ging es los. Mit Songs von Neil Young, Coldplay, Tracy Chapman und ersten eigenen. „Als ich mich das erste Mal auf die Straße gestellt hab, konnte ich drei Songs spielen. Ich hatte Angst. Meine Stimme hat gezittert. Ich war so aufgeregt und nervös, dass ich nicht mal die Akkorde richtig greifen konnte. Mit der Zeit hat sich das gelegt. Auf der Straße zu spielen ist ein gutes Rezept, um seine Ängste in den Griff zu bekommen, Selbstsicherheit zu gewinnen“, so Elen heute. „Straßenmusik hat kein Netz, keinen doppelten Boden. Das prägt. Du musst quasi vor die Fassaden treten, auch vor die eigenen. Sich dahinter zu verstecken macht keinen Sinn. Du siehst deinem Publikum direkt in die Augen. Du musst ehrlich sein, sonst hört dir niemand zu. Auch das habe ich gelernt“. Genau diese Ehrlichkeit spiegelt sich in den Texten ihrer Songs wider. Es arbeitet in ihr, das spürt man in jeder Zeile.

(c) Christoph Köstlin
(c) Christoph Köstlin

Andere Arcaden
Berührendes. Das Lied „Andere Arcaden“, in dem sie von prägenden Begegnungen als Straßenmusikerin vor den Schönhauser Allee Arkaden in Berlin erzählt. „Es sind oft auch eben die gleichen Menschen an den gleichen Orten. Egal, ob Straßenmusiker, Bettler, Obdachlose. Jeder hat sein Revier. Mit der Zeit ist man sich vertraut, auch wenn man sich natürlich nicht richtig kennt. Es gab sehr schöne Momente, wo manche mir aus ihren Bettelbechern noch ein paar Cent in meinen Koffer gelegt haben, weil sie dankbar waren für meine Musik.

 

Brauche 50 Euro!

Dann sieht man Schilder, auf denen steht: „Brauche 50 Euro, um nach Hause zu kommen“. Vor einem Mann, der ganz offensichtlich schwere Drogenprobleme hatte. Irgendwann ist der dann nicht mehr da. Und du fragst dich, was aus ihm geworden ist. Ob er doch noch nach Hause gekommen ist? Oder ob er gegen die Drogen verloren hat? Man bekommt einen anderen Blick auf die Menschen, aber auch auf uns als Gesellschaft. Darum geht es in „Andere Arcaden“. Man möchte mehr erfahren über diese Frau. Die der Stadt den Rücken gekehrt hat und auf einen kleinen Hof nach Brandenburg gezogen ist. Horizont. Weite. Ein Wendekreis. Weniger Nachbarn als Finger an einer Hand. Dafür eine Menge Tiere. Zwei Ponys, Schafe, Ziegen, Hunde, Katzen, Pfauen, Hühner, Kaninchen, Bienenvölker, und und und. „Ok, vielleicht habe ich das etwas überkompensiert, dass ich als Kind nie ein Haustier haben durfte“, gesteht sie lachend. „Aber mit jedem dieser Geschöpfe verbindet mich etwas. Ich habe die Verantwortung für sie, muss morgens raus, ihnen Futter geben, mich um sie kümmern. Vor allem eben auch an Tagen, wo ich viel lieber einfach nur im Bett liegen bleiben würde“. 

(c) Christoph Köstlin
(c) Christoph Köstlin

Kein Wellness für Stadtmenschen
Das Land erdet Elen, das ist spürbar. Und auch, dass es eine bewusste Entscheidung in ihrem Leben war, diesen Schritt zu machen. In dem Wissen, dass es eben keine Wellness-Oase für satte Stadtmenschen ist, wie es einem die schicken Magazine gern suggerieren, sondern Dreck unter den Fingernägeln bedeutet, viel Arbeit und oftmals eben auch Abgeschiedenheit.

 

Im Internet bestellen, um zu quatschen

„Mein Mann bestellt sich manchmal Sachen im Internet, nur, damit der Paketbote mal vorbeikommt und er mal jemanden zum Quatschen hat“, lacht sie. „Als wir hierhergezogen sind, haben wir Stunden damit verbracht, eine Stelle zu suchen, wo wir die Antenne für den Internet-Empfang aufstellen können. Einer ist mit der Antenne in der Hand übers Feld gelaufen, bis der andere aus dem Haus „STOP, 4G!“ geschrien hat. Auch das bedeutet Leben auf dem Land“.

Album "Blind über Rot"

Alle Songs des Albums

01.
 Liegen ist Frieden

02. Egal 

03. Hallo 

04. Luftschlösser 

05. Blind über Rot 

06. In Flammen 

07. 5 Meter Mauern 

08. Andere Arcaden 

09. Gut werden 

10. Lass uns ja nicht drüber reden 

11. Die Nacht 

12. Happy End


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